Le Gall – Theodor Pussel: Das Geheimnis des Kapitän Stien

12. Dezember 2010

Frank Le Galls Reihe um den Schreibtischhengst Theodor Pussel, der gerne mal um die Welt segeln und dabei düstere Familiengeheimnisse aufdecken möchte ist ganz klassischer Abenteuerstoff, gewürzt mit einem kleinem Schuß mystery. Die Vorbilder liegen auf den ersten Blick ganz deutlich bei Hergés Tintin, Milton Caniffs Terry and the Pirates und sagen wir mal Joseph Conrads Heart of Darkness.


Die Nähe zu Tim und Struppi ist bei einem frankobelgischen Comic natürlich kein Wunder, der Held ähnelt Tim auch äusserlich ein wenig, mit seiner Tolle aus drei Haaren. Nur kommt Théodore Poussin , wie er im Original heißt, statt aus dem frankophonen Teil Belgiens, aus dem westflämischen Sprachgebiet Nordfrankreichs: Dunkerque, dem Geburtsort des Korsaren Jean Beart.

Die Geschichte wurde zuerst  in Spirou veröffentlicht und tatsächlich erinnern einen die Zeichnungen selbst eher an die ecole marcinelle der Spirou-Comics. Erst mit dem fortlaufen der Serie hält auch hier die ligne claire Einzug (besonders genial im zweiten Band: nur die Rückblenden sind in ligne caire gezeichnet), später kommen weiche Aquarellzeichnungen hinzu, so das wir es mit einem ganz aussergewöhnlichen Mix aller europäischen Comic-Schulen zu tun haben.

Das im chinesischen und südostasiatischen Raum angesiedelten setting, voller Piraten und Bürgerkriege spielt 1927 zwar noch vor dem Tim und Struppi Abenteuer Der blaue Lotus und dem Erscheinen  der Terry und die Piraten Comicstrips, aber deren Einfluss ist nicht zu Übersehen. Mit der „Schicksal“ spielenden Figur des unheimlichen Herrn Novembers, der „Gräfin“ Kosina, die im Opiumrausch in die Zukunft blickt und auf ihr Ende wartet, sowie eines Baudelaire rezitierenden Piratenkapitäns wird dem ganzen noch etwas in Richtung Corto Maltese mit auf dem Weg gegeben (natürlich abzüglich der coolness des „Kapitäns ohne Schiff“).

Ich muss zugeben, dass es dieser Comic war, in dem ich das erste mal aus Les Fleurs du Mal gelesen habe und ganz besonders die „Satanslitaneien„, die hier von dem poetisch veranlagten Piratenkapitän vorgetragen werden, haben es mir angetan. In diesem Sinne versteht sich der Piratenkapitän auch als décadent und sieht sein Tagewerk als Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft und all ihrer Moralvorstellungen.

Theodor Pussel hingegen entlarvt die Piraten als hoffnungslose Romantiker und Operettenkapitäne, die abgesehen von ihren spleens nichts weiter als brutale rackets im unwahren Ganzen sind.

Eine mysteriöse Figur ist „Herr November“, der Theodor immer wieder über den Weg läuft und sich als sein „Schicksal“ ausgibt. Es ist nie wirklich gewiss, ob er ihn in seiner Suche nach seinem vermissten Onkel Kapitän Stien aufhalten oder behilflich sein will, ob er ihn beschützt oder ins Verderben stürzen will. Gleichzeitig ist er aber auch ein Charakter der ungemein komisch ist und für (böse) Scherze sorgt, allerdings dafür auch über Leichen geht.

Eingebettet ist das ganze in den Zerfall und Niedergang des europäischen Kolonialismus und Imperialismus und seine weitergeisternden fatalen Folgen für die Beherrschten und ausgebeuteten Menschen. Ein Blickwinkel, der uns wieder näher an Pratt’s Corto Maltese bringt. (Der Heizer auf der Kap Paderan heißt übrigens Pratt)

Allerdings wird das alles recht bürgerlich abgehandelt und der Klassenkampf stark in den Hintergrund gestellt zugunsten einer Kolonialbetrachtung, die in späteren Alben zeitweise in Kitsch zu versinken droht. Theodor Pussel ist  einfach kein Revolutionär. Die Revolutionen in die er verwickelt wird, werden hier wie Naturkatastrophen dargestellt.

Er ist mehr der phantastische Träumer, der in den Strudel der Ereignisse gerissen wird, also das Gegenteil von Tim,  aber wieder eine weitere Gemeinsamkeit mit Corto Maltese, nur daß er nicht immer so souverän die Situation meistert.

Neben dem lockeren Strich der Zeichnungen gefällt mir auch die Idee, dass die ersten sieben Seiten, also die komplette Einleitung, auf dem Tagebuch von Frank Le Galls Verwandten, eines gewissen Theodore C. Le Coq basieren, dessen Photographie vermeintlich die Rückseite des Bandes ziert.

Ob dies nun der Wahrheit entspricht, sei jetzt einfach mal dahingestellt; aber es sorgt für die richtige Abenteuer- und Fernweh-Atmosphäre und verleiht der Geschichte ihren zeitlichen Rahmen.

 

 

 

 

 

 

 

Kritik ist hier allerdings besonders bei dem ersten Abenteuer an der Darstellung von people of color zu erheben, die ganz dem rassistischen Comic-Exotismus des frühen Herge und Milton Caniff entsprungen zu sein scheinen. Natürlich sind die Europäer hier nicht als weisse Übermenschen dargestellt, allerdings wimmelt es von Schlitzaugenfratzen mit hervorstehenden Hasenzähnen. Dies ändert sich zwar allmählich im Verlauf der Serie, aber solche Darstellungen würde man bei Pratt vergeblich suchen.

Weder die sozialen Bewegungen, noch der grassierende Faschismus der späten Zwanziger spielen in dieser Geschichte eine Rolle. Im Gegenteil, wir erfahren relativ wenig über den kulturellen und sozialen background der Figuren. Genausowenig wird der sich im damaligen Europa immer mehr zuspitzende Antisemitismus in der Handlung selbst thematisiert.

Dafür wird dieser aber anscheinend von Le Gall reproduziert, wenn wir einen Blick auf Seite 5 werfen:

In einer Szene erscheint ein „drittklassiger Schneider“ , der direkt einer antisemitischen Karikatur aus dem Stürmer entsprungen zu sein scheint.

Wirklich widerlich! Es offenbart doch viel über den Zeichner Le Gall und die „guten katholischen frankobelgischen bandes dessines“, ganz in der Tradition von Abbé Vallez!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In den weitern Ausgaben bleiben wir von vulgär-antisemitischen Ausfällen dieser Art zum Glück verschont. Mir ist nicht bekannt, ob Frank Le Gall (jemals) einen dafür auf den Deckel bekommen hat, oder ob er sich tatsächlich davon distanziert und (ähnlich seiner Zeichen- und Erzählskills) weiterentwickelt hat.

Frank Le Gall

Theodor Pussel 1: Das Geheimnis des Kapitän Stien

EDITION COMIC ART im Carlsen Verlag 1990

im französischen Original: Capitaine Steene

copyright by Editions Dupuis, Charleroi 1987

 

Julian/Giulio

26. Juli 2010

Hier meine Version von Julians Flucht durch die engen Gassen der Stadt, nachdem er den Wächter um seine Goldstücke erleichtert hat.

Meine Ausmal-Skills bewegen sich auf dem Niveau eines Vierjährigen, vielleicht fehlt mir auch einfach die Geduld, zumal ich nun statt Aquarellstiften Gouachefarben verwendet habe. Laurent Parcelier kotzt wahrscheinlich, wenn er das sieht…

Das Zeichnen hat mir aber trotzden Riesenspaß gemacht.

(Ich bleib am besten bei schwarz-weiß)

Parcelier: Der Lange Weg

7. Juni 2010

Laurent Parcelier’s Erstlingswerk von 1988 ist der erste Band des auf fünf Teile angelegten Fantasyabenteuers: Der Fluch der 7 Grünen Kugeln, mit dem deutschen Titel:  Der Lange Weg.

Es ist die erste Geschichte von Parcelier’s Helden Julian (original: Giulio), der insgesamt acht Bände füllen wird. Leider sind davon auf deutsch nur vier erschienen, sodaß noch nicht einmal der erste Zyklus komplett vorliegt. Glücklicherweise ist der erste Teil der Grünen Kugeln-Geschichte auch schon in sich abgeschlossen.

Von den titelgebenden sieben Kugeln gibt es erstmal nur eine und ihr Einfluss auf die Story ist eher marginal. Sie fungiert hier mehr als deus ex machina. Zwei andere Gegenstände die gleich auf den ersten Seiten auftauchen (wobei man den zweiten erst am Ende zu sehen bekommt) sind hier viel wichtiger: eine mysteriöse Flasche mit Teufelskopf, welche (ähnlich wie die grüne Kugel) am Ende als Bindeglied und, naja, cliffhanger für die weiteren Teile fungiert und in deren Symbolik man allerlei hineininterpretieren könnte. Der andere Gegenstand ist „ein Element aus einer anderen Welt“, dass Julian von seinem Vogel, Phorax, einem Falken,  gebracht bekommt.

Dieses Element ist quasi der Motor für die Geschichte, denn sie gibt den Anstoss für Julian sich auf den „Langen Weg“ zu machen, der einzige Weg der durch den dichten, riesigen Wald führt, der sein kleines Ländchen komplett umschliesst.

Und dies ist eigentlich schon die ganze Geschichte, ein Road-Movie also im Fantasyabenteuer-Stil. Julians Freund und gewissermaßen sein Mentor ist der Zauberer Arcchus, bei dem er nebenbei die grüne Kugel erhält. Begleitet wird Julian von Ozgur, dem Pfeife schmauchenden Köhler, der als erfahrener Waldarbeiter den Ausgleich zu Julians ungestümen jugendlichen Wesen darstellt.  Die romantische Geschichte hat deutliche Anleihen bei  Winsor McCay’s Little Nemo: Traum/Albtraumsequenzen, der nicht enden wollende, abenteuerreiche lange Weg (wie lange es dauert bis Little Nemo endlich in Slumberland ankommt) und schließlich Julian selbst, der Little Nemo frappierend ähnlich sieht.

Ansonsten steht das Comic in franko-belgischer Tradition: Der Stil ist irgendwie eine Mischung aus ligne clair und ecole marcinelle, allerdings weich gezeichnet, nicht wie der scharfkantige  „moderne“ Stil aus der Reklame der dreissiger bis fünfziger Jahre, der bei den klassischen Comics von Tintin, über Lucky Luke bis Spirou zu finden ist.  Es würde aber nicht verwundern, wenn Julian auf Johann und Pfiffikus treffen würde oder er unterwegs im Dorf der Schlümpfe landet.

In ähnlicher Tradition wie der Zeichenstil fällt aber auch die Asexualität, bzw. das sexistische Element in diesem Comic auf: die völlige Abwesenheit weiblicher Protagonistinnen. Wobei Julian durchaus etwas androgynes hat und die Vater-Sohn-Beziehung zwischen ihm und Ozgur zumindest homoerotische Züge aufweist.

Literarisch ist diese Geschichte eindeutig der Romantik zuzuordnen, mehrere Stilelemente lassen sich unweigerlich festmachen und E.T.A. Hoffman hätte seine wahre Freude daran gehabt. Obwohl Julian ja eigentlich aus aufklärerischen Motiven den Entschluss zu der Reise fasst. Naja, der Student Anselmus aus Der goldene Topf scheint hier auch ein wenig Pate gestanden zu haben.

Nicht zu Vergessen ist bei Fantasycomics natürlich der Verweis auf J.R.R. Tolkien und in diesem Fall besonders der kleine Hobbit.

Die Erzählgeschwindigkeit unterscheidet sich daher auch von den herkömmlichen Abenteuer- und Fantasy-Comics. Es ist daher ein ausgezeichneter Band um mal runterzukommen und zu entspannen.

Es macht Lust auf einen langen Waldspaziergang und befördert die  Sehnsucht nach Ruhe und Einsamkeit.

Aber keine Angst: Ganz so eso-mäßig geht es zum Glück nicht zu. Die Stadt ist zwar als wuselnder lärmender Ort voll Trunk und Völlerei dargestellt, an der nur Priviligierte teilnehmen dürfen, wobei Julian sich selber einlädt, indem er kurzerhand (und jetzt kommt ein anarchistisches Moment) das benötigte Geld von einem der Stadtwachen (also den verdammten Bullen) stiehlt. Das würden Tim oder Spirou niemals machen!

Im Gegensatz dazu wird die Natur jedoch nicht als „heile Welt“ dargestellt, sondern als der undurchdringliche Wald, der alle einschließt, und durch den nur der unheimliche Weg geht, von dem noch niemand zurückgekehrt ist. Die Natur ist wild, es lauern allerhand Gefahren und Fallen, wobei die Stadt in all ihrem Durcheinander doch bekanntes Terrain darstellt, in der es  sich eben zur Not ein wenig mit Räuber- und Gendarm-Spielchen über Wasser halten lässt (Julian muss nicht arbeiten, hat anscheinend keine Familie oder sonstige Verpflichtungen und „studiert“ aus Hobby nebenher…würde sagen… Mineralogie oder Naturwissenschaften, wobei die Schwerkraft ihm wohl die häufigsten Grenzen setzt).

Gleichzeitig zeigt dies die Eingegrenztheit und vermeintliche Unveränderbarkeit der Gesellschaft, die der slacker Julian verlassen will, weil er von ihr gelangweilt ist. Er sieht in ihr keine Zukunft und will aus den engen und beschränkten Verhältnissen endlich ausbrechen.

Die Menschen in dieser Gesellschaft selbst haben sich schon längst damit abgefunden, daß der Wald der sie umschließt eine natürliche Grenze ist. Nur Glücksritter und gelangweilte junge Adelige sehen in dem „langen Weg“ eine Herausforderung oder eine Gelegenheit ihre „Männlichkeit“ unter Beweis zu stellen, ähnlich wie man einen Drachen bekämpft oder einen Berg erklimmt. Den Blick über den Tellerrand ihrer abgeschlossenen Welt haben sie nicht. Ganz anders Julian.

Die Natur ist also in diesem Kontext nicht unbedingt das fremde Reich der Tiere und Fabelwesen sondern die Grenze, die überwunden und bezwungen werden muß, das Verwunschene an ihr muß also ganz in aufklärerischer Traditon entzaubert werden. Diese Entzauberung gelingt aber nur teilweise und so scheitert auch letztlich die Veränderung der Gesellschaft. Julian lässt sie einfach zurück um in neuen Herausforderungen sein Glück zu suchen. Der Weg geht nur voran…

Dieses Album ist eines meiner all-time favorites.

Laurent Parcelier:

Der Fluch der 7 Grünen Kugeln – Der lange Weg

Carlsen Comics 1992

im französischen Original: La Malédiction des 7 Boules Vertes –  Le Voyageur Imprudent

copyright by Casterman 1988

Die deutsche Ausgabe lässt sich noch immer leicht im Antiquariat/Internet für 2 – 3  € ersteigern.

Alle acht Alben um Julian/Giulio können im Original als pdf im Internet gelesen werden, allerdings auf französisch.

Dies hier macht Laurent Parcelier übrigens sonst so mit Pinsel und Farben:

Max Friedman

20. April 2010

…so, hier ist meine Version von Max Friedman.

Gemütlich schmaucht er nun im Clubsessel ein Pfeifchen. Es sind die kleinen Dinge, die ein weitgereister Abenteurer (und Tabakhändler) wie er zu geniessen gelernt hat und dabei chillt er erstmal ein bisschen.
Irgendwie hat Max Friedman immer etwas von Professor Mortimer: Pfeife, rötlicher Bart und Budapester Schuhe…in ligne claire
Max Friedman mit Blake und Mortimer wäre sicher ein cooles crossover, wobei ich mir durchaus vorstellen könnte, dass er schonmal mit Hauptmann Blake vom MI 5 durch seine „Arbeit“ beim Deuxieme Bureau zu tun gehabt hatte…

Giardino: Ungarische Rhapsodie

17. April 2010

Max Friedman ist Tabakhändler in Genf. Es ist das Jahr 1938 und in Budapest ist gerade eine Zelle des französischen Geheimdienstes bis auf das letzte Mitglied „liquidiert“ worden. Waren es die ungarischen Faschisten, die deutsche „Abwehr“, oder gar der sowjetische NKWD? Um das herauszufinden schickt der französische Geheimdienst seinen „besten Mann“: Max Friedman.

Der folgt dem Ruf nicht ganz freiwillig; wir erfahren beiläufig etwas von seiner Vergangenheit und seiner persönlichen Situation: in die Schweiz emigrierter Jude und französischer Staatsbürger, alleinerziehender Vater. Seine Frau? Entweder verlassen oder gestorben, wir wissen es nicht. Anscheinend schon mal für den Geheimdienst tätig gewesen, unter anderem in Spanien, wo er auf Seite der Republik gekämpft hat.

Dies alles stellt sich nur bruchstückhaft dar, trotzdem wissen wir genug um zu sehen, daß er zwar ein Individuum ist, das zwischen verschiedenen Institutionen und Rackets herumgeschubst wird, er gleichzeitig aber, so desillusioniert und abgebrüht er auch daherkommen mag, seine eigene Agenda hat: Sozialismus und Antifaschismus als gelebte Größen und nicht als blanke Ideologien, die von Parteien und korrupten Funktionären missbraucht werden.


Wir erkennen sofort: in Giardinos „Abenteuerreihe“ um Max Friedman spiegelt sich die ganz große Tragödie der europäischen Linken im zwanzigsten Jahrhundert wider.
Die Story ist spannend erzählt und lebt natürlich gerade von Giardinos  realistischem ligne claire Stil und den sehr detaillierten Hintergrundzeichnungen. Die Farbgebung tut ihr übriges, leidet allerdings sehr unter der Druckqualität.

Max Friedman versucht zwar innerhalb der Mission und deren Sachzwängen zuallererst mit heiler Haut davonzukommen, er feilt allerdings auch an seinem persönlichem Glück etwas weiter. Dies führt zur Verschiebung seines väterlichen Verhältnisses zu seiner „Mission“, der Mittzwanzigerin Etel Farkas, zugunsten einer kleinen Romanze, wobei die Verwandlung der Etel Farkas von der biederen Brillenschlange zum heißen Babe bemerkenswert ist (Einfach mal die Brille abgesetzt…). Dies ist aber mittelfristig zum Scheitern verurteilt, da Friedman auch auf diesem Gebiet ziemlich desillusioniert ist.

Trotzdem vergisst er im Hagel der Kugeln und Küsse nicht seine alten Freunde. So versucht er, z.B. eine Waffenlieferung an die Faschisten in Spanien nicht nur zu vereiteln, sondern diese sogar an die republikanische Seite weiterzuleiten, was nicht unbedingt im Sinne seiner Auftraggeber sein dürfte.
Zum Schluss ist es eine gute Geschichte über das Ende der fehlgeleiteten Appeasement-Politik Chamberlains und der sozialistischen Regierung Leon Blums , sowie die schon drohende deutsche Expansionsgier mit all ihren mörderischen und barbarischen Schrecken.

Leider wartet der Comic auch mit einigen Plattheiten auf:

Der Chef der deutschen Agenten sieht aus wie eine Karikatur von Himmler. Hinzu kommt, dass es auch hier die Figur des „guten Nazis“ gibt, den deutschen Playboy Manfred von Kluberg, der im Dienste der „Abwehr“ und ihres Chefs Canaris spioniert und hier als Gegenpol zu der sadistischen Himmler-Karikatur und SS-Mitglieds Siegmund Schminck fungiert.

Gerade im Kontext dieser Geschichte wäre aber  nicht die Konkurrenz zwischen „Abwehr“ und Gestapo von Interesse,  sondern viel mehr das Engagement des zum deutschen Widerstand zählenden Nazis Wilhelm Canaris im spanischen Bürgerkrieg: ohne diese massive deutsche Unterstützung hätten Francos Faschisten wahrscheinlich gar nicht gewonnen, sie hätten noch nicht mal die iberische Halbinsel erreicht.

Desweiteren setzt Giardino seine Figuren einer Reihe antisemitischer Angriffe aus, die das gesellschaftliche Klima widerspiegeln sollen, welches kurz vor den November-Pogromen in Deutschland und Österreich in Europa herrschte (wobei dies gerade auf Ungarn bezogen wieder eine erschreckende Aktualität bekommen hat). Allerdings spielt er dabei mit einigen Klischees, wenn er gleich zu Beginn Max Friedman in Verhandlung mit einem türkischen Tabakgroßhändler zeigt und jenen sagen lässt: „ein Türke vermag alle über’s Ohr hauen…nur einen Juden nicht!“

Eine ähnlich tendenziöse und ebenso platte Situation ist, wenn Friedman von einer Roma-Frau unbemerkt entwaffnet wird und die Bemerkung durch Zadig  folgt: „wie alle Zigeunerinnen ist sie diebisch wie eine Elster.“

Abgesehen davon sind viele kleine nette Details miteingepackt, die einem mitunter erst beim zweitenmal auffallen:

Der Fischer Koufos sieht aus als würde sich Hemingway persönlich in „Der Alte Mann und das Meer“ spielen. Eines der Mitglieder der „Ungarischen Rhapsodie“ heisst Kertesz, Die KampfgenossInnen von Friedman und Roth waren Anais Nin und George Orwell.

Auf  der Kostümparty tummeln sich Marlene Dietrich und Buster Keaton.

Eine deutliche Hommage an Tintin ist die Szene als Friedman aus dem Hotelzimmer flüchtet, aber auch der grosse Magier Baross und seine Assistentin kommen dem Tim und Struppi Leser doch irgendwie bekannt vor.

Sogar der Hund von Friedmans 10-jähriger Tochter Esther ist eine Anlehnung an eine Comicfigur, nämlich „Tige“ aus dem Sunday-Strip „Buster Brown“ von Outcault, ein Comic-historischer Vorfahr von „Struppi“

Giardino : Ungarische Rhapsodie

EDITION COMIC ART bei Carlsen Comics 1984

Im italienischen Original: RHAPSODIA UNGHERESE

copyright Vittorio Giardino 1982